Profitiert die Wirtschaft Deutschlands von der Globalisierung?
Es gibt sicher kein zweites Ereignis, das die Weltwirtschaft so verändert hat wie die Globalisierung. Seit mit dem rigiden Abbau der Zölle das Zeitalter der Globalisierung eingeläutet wurde, sind die Gesetze der Marktwirtschaft weitgehend außer Kraft gesetzt, weil ein fairer Wettbewerb kaum noch möglich ist.
Wirtschaft
und Globalisierung:
1.
Alle Dämme sind gebrochen!
Wenn
es dem Esel zu geht, geht er aufs Eis. Und wenn die Wirtschaft
brummt, werden manche Volksregenten leichtsinnig und lassen sich von
"unvoreingenommenen" Experten der Kapitallobby belatschen.
Kurzum: Seit
Ende der 1970er Jahre die Zölle geächtet und abgebaut
wurden, haben sich die Bedingungen für die Wirtschaft
grundlegend geändert. Denn fortan war die Wirtschaft eines
Landes den Dumpingattacken aus dem Ausland schutzlos
ausgeliefert.
Im intakten Binnenmarkt der Vorglobalisierungsära
wurde der Wettbewerb der Unternehmen unter
verhältnismäßig fairen Bedingungen ausgetragen,
weil alle Firmen mit den gleichen Löhnen, Steuern und
Vorschriften auskommen mussten.
Mit
dem Zollabbau hat sich dieses Gleichheitsprinzip radikal
gewandelt.
Plötzlich
musste der deutsche Hersteller mit ausländischen Anbietern
konkurrieren, deren Produktionskosten um 30, 50 oder gar 90 %
niedriger lagen. Dass ein solch unfairer "Wettbewerb" eine
Volkswirtschaft auf Dauer ins Verderben führt, haben wir in den
letzten 35 Jahren zu spüren bekommen: Die Arbeitslosenzahlen
haben sich seit 1980 in Deutschland verdreifacht und die
Reallöhne sind gesunken
(dabei hätten sie sich entsprechend der Produktivität in
Etwa verdoppeln müssen).
Wirtschaft
und Globalisierung:
2.
Ein Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit findet nicht mehr
statt!
In
einem intakten
Binnenmarkt
liegt das Wachstum der Produktivität im Einklang mit dem realen
Lohnanstieg. Dieser Ablauf vollzieht sich nicht aus Vernunft oder
Großherzigkeit, sondern weil ein echter Markt ihn
erzwingt. Würde nämlich die Produktivität
schneller steigen als die Kaufkraft, würde dies ein
Waren-Überangebot zur Folge haben. Dieses Ungleichgewicht
würde wiederum einen Preiskampf auslösen, der solange
andauern würde, bis sich Kaufkraft und Produktivität wieder
angeglichen hätten.
Wirtschaft
und Globalisierung:
3.
Die meisten Großkonzerne können
absahnen!
Schon in
einem intakten Binnenmarkt herrscht (bei mangelhaften Gesetzen) ein
starker Monopolisierungstrend. Die großen Firmen sind meistens
im Vorteil, weil sie zu günstigeren Konditionen einkaufen
können, im großen Stil die Produktion, Forschung und
Werbung billiger kommt und auch noch hauseigene Juristen und
Steuerexperten die immer komplexer werdende Gesetzeslage besser
ausnutzen können.
Die
Globalisierung nun beschert den ohnehin schon Begünstigten
weitere Vorteile.
Großunternehmen
können leichter und schneller die sich aus der Globalisierung
ergebenden Kostenvorteile ausschöpfen, ohne
sie an den Verbraucher weitergeben zu
müssen
(weil Prestigemarken die Billigkonkurrenz kaum fürchten
müssen). Sie können das globale Dumpingprinzip voll
auskosten (im fernen Ausland billigst produzieren und im Hochlohnland
teuer verkaufen).
Die
mittelständische Wirtschaft ohne Edelmarken-Image hat bei diesem
Treiben in der Regel das Nachsehen. Um nicht alle Marktanteile zu
verlieren, müssen sie die Kosten senken und zumindest Teile der
Fertigung gleichfalls ins Billigausland verlagern.
Da sie aber nicht über die Marktmacht und das teure Know-how der
Konzerne verfügen, fallen sie bei diesen Ausgliederungsversuchen
so manches Mal auf die Nase. Entweder gibt es dann im Billiglohnland
große Qualitätsprobleme (weil eigene Kontrolleure vor Ort
fehlen), oder es kommt noch schlimmer: Die Produkte werden gnadenlos
abgekupfert und unter anderem Label vermarktet.
Wirtschaft
und Globalisierung:
4.
Perversion pur: Wachsende Wirtschaft und sinkende Einkommen
Deutschland
kann sich rühmen: Es ist quasi zum Musterland der
Globalisierungsverlierer geworden. Denn auch die stetig wachsende
Wirtschaft und die alljährliche Kürung
zum Exportweltmeister
können
nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Arbeitseinkommen
(und damit auch der allgemeine Wohlstand) seit Beginn der
Globalisierung sinken.
In keinem Land wird die Perversion so deutlich wie bei uns: Was nützen Wirtschaftswachstum, vermeintliche Exporterfolge, eine drastische Zunahme des Lkw-Aufkommens, eine kontinuierliche Ausweitung der Gewerbeflächen, ein steter Anstieg des Energieverbrauchs in der Wirtschaft (trotz beachtlicher Fortschritte bei der Energieeffizienz)? Was nützt es, wenn immer mehr in die Bildung investiert wird, junge Leute Abitur machen und ein Studium absolvieren - wenn alle Mühen und Anstrengungen mit dem Abbau des Lebensstandards einhergehen?
Wann wird man endlich einsehen, dass die ganze wirtschaftliche Entwicklung seit Beginn der Globalisierung (dem Fall der Zollschranken) extrem abartig ist? Dass es pervers ist, wenn auf Dauer Wirtschaftswachstum und Produktivitätssteigerungen im Kaufkraftschwund enden?
Der
menschliche Erfindergeist und der technologische Fortschritt hat der
Menschheit immer einen Wohlstandsanstieg beschert - seit Beginn
der Globalisierung hat sich das umgekehrt.
Nur die Kapitalgewinne entwickeln sich prächtig. Die meisten
Aktienindizes haben sich seit Beginn der Globalisierung vervielfacht
und die Zahl der Multimilliardäre steigt und steigt - der
Kapitalismus ist zum Eldorado der Glücksritter und Spekulanten
verkommen.
Und was macht
die Politik angesichts dieser haarsträubenden Entwicklung? Sie
streitet hilflos über die Symptome, feilscht über Mindest-
und Kombilöhne, strengere Auflagen für Arbeitslose,
über Pflege- und Gesundheitssysteme und die Subventionierung
privater Zusatzrenten (Riester-Rente). Aber sie denkt nicht im Traum
daran, das Übel an der Wurzel zu packen oder auch nur
über den Sinn oder Unsinn des Zollabbaus sachlich zu
debattieren.
Stattdessen setzt sie stur und unbeirrt und gegen den Willen des
Volkes auf weitere "internationale Abkommen", Freihandelszonen
usw..
Und das alles vollzieht sich unter dem Deckmantel der
"Demokratie".
Der
Einfluss der Globalisierung auf die Wirtschaft anderer
Industriestaaten
Wie
tröstlich: Auch die anderen Industriestaaten leiden
wirtschaftlich unter der Globalisierung. Im Vergleich zu den meisten
anderen steht Deutschland sogar noch verhältnismäßig
gut da, weil hier die Kosten (Löhne und Renten) stärker
abgesenkt wurden als anderenorts.
Japan steckt schon seit über 20 Jahren in einer Rezession, die mit abartigen Konjunkturprogrammen und einer Billiggeldschwemme bekämpft wird. Die USA versuchen mit ähnlich unseriösen Methoden den wirtschaftlichen Kollaps zu vermeiden, wenngleich sie wegen ihrer Bodenschätze, ihrer Vormachtstellung als Supermacht, der Dominanz des Dollars und ihrer englischen Weltsprache besser aufgestellt sind als andere westliche Staaten.
Besonders übel dran sind EU-Staaten, die unter dem Bürokratiewahn und der Oberherrschaft Brüssels und der Einheitswährung Euro leiden. Vor allem die Euro-Staaten leben auf einem Pulverfass, weil ihre Wirtschaft gegen die ausländische Billigkonkurrenz nicht mehr ankommt (weil es ausgleichende Zollschranken kaum noch gibt).
Der
Einfluss der Globalisierung auf die Entwicklungsländer
Manche
Entwicklungsländer haben scheinbar von der Globalisierung
profitiert. Sie sind zu beachtlichen Schwellenländern
aufgestiegen, allen voran China.
Doch diese oberflächliche Betrachtung ist recht einseitig. Weil
dabei die vielen anderen positiven Veränderungen, die wenig bis
nichts mit der Globalisierung zu tun haben, vernachlässigt
werden. China zum Beispiel hat sich weitgehend von der
kommunistischen Planwirtschaft losgesagt, hat sich demokratisiert,
dem Westen geöffnet.
Auch ohne den
globalen Zollabbau, dem bestimmenden Faktor der Globalisierung,
hätten viele Entwicklungsländer den Aufstieg hinbekommen.
Weil eben die Menschheit stetig dazulernt, neue Erkenntnisse die
Landwirtschaft revolutionieren und technologische Umwälzungen
die Produktivität vervielfachen. Auch Deutschland war mal arm
und konnte sich aus eigener Kraft (ohne ausländische Global
Player) aus seinem Elend befreien.
Das perfide globale Lohn- und Steuerdumping, das die Kapitallobby
durch den Zollabbau perfekt durchorganisiert hat, löste zwar in
einigen Entwicklungsländern einen Industrialisierungsprozess
aus, hat aber in vielen anderen Fällen nur geschadet.
Es ist ein
Unfug zu glauben, nur über den globalen Standortwettbewerb
und die über Jahrzehnte anhaltende Ausbeutung der
menschlichen Arbeitskraft könnte die Wirtschaft eines armen
Landes in Schwung kommen. Mit intelligenter Entwicklungshilfe,
wie ich sie in meinem Buch "DAS KAPITAL und die Globalisierung"
beschrieben habe, könnte wesentlich mehr bewirkt werden.
Auf keinen Fall darf aber der mühselige Aufstieg der
Schwellenländer mit dem schleichenden Niedergang der alten
Industrieländer erkauft werden.
Fortsetzung: Die Globalisierung schwächt das Produktivitätswachstum!
Startseite
www.globalisierung.com.de
Impressum
© Manfred Julius Müller (unabhängiger, parteiloser
Wirtschaftsanalyst und Zukunftsforscher).
Erstveröffentlichung
2006
Anmerkung:
Der Sinn einzelner Thesen erschließt sich oft erst im
Zusammenhang mit anderen Artikeln des Autors. In einem einzelnen
Aufsatz können nicht jedesmal alle Hintergründe und
Grundsatzüberlegungen erneut eingeflochten werden.
Bücher
von Manfred J. Müller
Die Demokratie lebt von der Gegenrede, nicht
aber von Schönfärbereien, Ablenkungsmanövern, Rufmord,
Parteiverboten und der Einschüchterung oder Umerziehung der
Wähler!