Reichstag
in Berlin mit Holocaust-Denkmal im Vordergrund.
Hätten bei der Reichstagswahl Ende 1932 andere Parteien ein
ähnlich überzeugendes Wirtschaftsprogramm aufgeboten wie
die NSDAP, wäre der Welt Krieg und Holocaust erspart
geblieben.
von Manfred Julius Müller
In turbulenten Krisenzeiten wie heute liegt es nahe, die Erfahrungen der Vergangenheit wieder in Erinnerung zu rufen. Wie war es denn nun nach dem Börsencrash 1929? Was war die Ursache für die tiefgreifende Depression, die in den USA ihren Anfang nahm und bald die ganze Welt erfasste?
Nur
über den Auslöser der Weltwirtschaftskrise gibt es keinen
Zweifel.
Unbestritten
ist, dass die Aktienblase in Amerika die Sache ins Rollen gebracht
hat. Aktien und Immobilien waren wegen rascher Wertsteigerungen und
niedriger Zinsen zunehmend auf Kredit gekauft worden - bis der
aufgeblähte Markt eben kollabierte und die Aktienkurse und damit
die Illusion des Reichtums in sich zusammenbrachen.
Wie
entwickelte sich aus dem Aktiencrash die Weltwirtschaftskrise?
Uneinigkeit
herrscht auch heute noch darüber, wie sich dieser Aktiencrash in
den Folgejahren so verheerend auf die reale Weltwirtschaft hatte
auswirken können. Lag es wirklich nur daran, dass die
amerikanischen Investoren nach dem Schwarzen Donnerstag ihre im
Ausland angelegten Gelder nach und nach zurückzogen (weil sie
sie im eigenen Land dringender benötigten)?
Unbestritten ist: Mit diesem Geldabfluss wurde der Virus mangelnder
Kaufkraft und Liquidität in die ganze Welt übertragen. Die
Unternehmen hatten Schwierigkeiten, ihre üblichen Kredite zu
bekommen. Das Vertrauen der Bürger in die Zukunft schwand, man
stellte Anschaffungen und Konsumausgaben zurück, was sich prompt
auf die Arbeitsmärkte auswirkte. Der natürliche Geld-
und Konsumkreislauf geriet ins Stocken, die Zahl der Arbeitslosen
schwellte unaufhörlich an.
Anfang 1933 hatte Deutschland 66 Millionen Einwohner und es gab 6 Millionen Arbeitslose, was etwa einer Erwerbslosenquote von 23 Prozent entsprach. Arbeitslosengeld gab es damals nur minimal, davon konnte eigentlich niemand leben. In dieser Notsituation versuchten die damaligen Industriestaaten, ihre heimische Wirtschaft durch Importzölle zu retten. Heute versucht man, diese durchaus verständliche Reaktion zu diskreditieren und dem Zoll-Protektionismus die Schuld für die Weltwirtschaftskrise anzuhängen.
Ich halte eine solche Schuldzuweisung für dummdreist. Denn entscheidend ist doch, wie die Krise überhaupt entstanden ist. Und da gab es eben nicht nur als auslösenden Moment den Börsenkrach, es gab zuvor auch eine Ära der vernetzten internationalen Weltwirtschaft, die frühen Auswüchse eines übertriebenen Welthandels. Dieses System der weltweiten Abhängigkeit ist letzten Endes durch den Börsenkrach in sich zusammengefallen.
Arbeitslosenzahlen
am 1. 3 1933
(in Millionen) Land Einwohner Arbeitslose Quote
(geschätzt) Deutschland 66 6
(2,1) 22,7
% (8
%) USA 127,5 15,5
(12) 30,3
% (23,1
%) Großbritannien 47 2,9
(1,9) 15,4
% (10,1) Italien 42,6 1,0
(1) 5,8
% (5,8
%) Frankreich 42 1,4
(1,6) 8,3
% (9,5
%)
Angaben
in Klammern in Rot: 3 Jahre später
(1.3.1936)
Der
Zoll-Protektionismus war der einzige Ausweg aus der
Weltwirtschaftskrise!
Die
heutigen Kritiker des damaligen Zoll-Protektionismus verwechseln
einmal mehr Ursache und Wirkung. Der Zoll-Protektionismus hat eben
nicht die Weltwirtschaftskrise heraufbeschworen, sondern er war die
Rettung und hat innerhalb von wenigen Jahren die gewaltigen
Probleme weitgehend gelöst und die Menschen aus ihrem Elend
befreit.
In
einem offenen Weltmarkt können Rettungsmaßnahmen kaum
greifen!
Kennzeichen
einer großen wirtschaftlichen Depression ist die um sich
greifende Panik und Zukunftsangst. Die Bürger bangen um ihre
Arbeitsplätze und ihre Einkommen und schränken sich deshalb
immer mehr ein. Unnötige Ausgaben werden weitgehend vermieden,
Anschaffungen zurückgestellt, es wird mehr gespart und weniger
auf Pump gekauft. Durch dieses verständliche Reaktionsmuster
wird die eigentliche Krise erst heraufbeschworen - die
Kaufzurückhaltung drosselt den Absatz und damit die Produktion -
Massenentlassungen sind die Folge.
Das
Dilemma ließe sich durch Konjunkturprogramme beheben -
Zinssenkungen, öffentliche Investitionen und vor allem
Steuererlasse könnten die Wirtschaft schnell wieder ankurbeln,
wenn ..., ja wenn die staatlichen Finanzspritzen im eigenen Land
verblieben. In einem offenen Weltmarkt aber verpufft die
staatliche Hilfsaktion weitgehend, weil eben ein Großteil
des Geldes ins Ausland abfließt.
80
bis 90 Prozent des in vielen deutschen Kaufhäusern vorhandenen
Warenbestandes werden heute importiert, wobei beim verbleibenden Rest
der deutsche Wertschöpfungsanteil kontinuierlich schrumpft (aus
dem Ausland angelieferte Teile oft nur noch zusammengeschraubt
werden).
Mit dem Kauf ausländischer Produkte wird aber nicht die
heimische, sondern die ausländische Konjunktur gestützt.
Das Gleiche geschieht, wenn die Leute mit dem unverhofften Geldsegen
eine Auslandsreise buchen. In einem offenen Weltmarkt ohne wirksame
Importzölle schaden deshalb staatliche Konjunkturprogramme mehr
als sie nutzen - die Nachteile der zusätzlichen
Staatsverschuldung wiegen langfristig schwerer als die im Inland
verbleibende (kurzfristig aufgeblähte) Kaufkraft.
Was
sind die Nachteile einer globalen Wirtschaft?
Die
Gesetze der Logik haben sich nicht geändert. Was in den 1920er
Jahren falsch war, ist auch heute noch falsch. Gegen einen normalen
Welthandel ist überhaupt nichts einzuwenden, darum geht es
nicht. Es geht um die verheerenden Folgen eines über
Deregulierung und Subventionen künstlich angeheizten
Welthandels. Die wichtigsten Auswirkungen der
Globalisierungsideologie:
1.
Unfairer Vernichtungswettbewerb
Verzichtet
ein Staat auf die Schutzmechanismen der Zölle, so entgehen ihm
nicht nur jede Menge Staatseinnahmen, er setzt seine Wirtschaft auch
einem gnadenlosen Dumpingwettbewerb aus. Ein Hochlohnland kann nun
einmal nicht mit einem Billiglohnland mithalten - ein
Westeuropäer kann nicht zehnmal besser oder schneller arbeiten
als sein chinesischer Kollege, um die Lohnunterschiede
auszugleichen. Er kann sich auf Dauer auch nicht
als
Herrenmensch aufspielen
(Deutschland als "Ideenschmiede", China als Werkbank). China bildet
pro Jahr zehnmal mehr Wissenschaftler und Ingenieure aus als
Deutschland. Wo werden in Zukunft wohl die innovativsten Produkte
herkommen?
2.
Der Subventions-Protektionismus zerstört die Kräfte der
Marktwirtschaft!
Die
westlichen Industrienationen sind dermaßen durchdrungen von
staatlichen Subventionen (um die Auswirkungen des globalen
Dumpingwettbewerbs unter Punkt 1 zu kaschieren), dass
die
natürlichen Kräfte der Marktwirtschaft weitgehend
ausgehebelt werden.
Im
Klartext: Die Subventionen führen dazu, dass marktwirtschaftlich
völlig blödsinnige (also eigentlich unrentable)
Wirtschaftsabläufe ins Rollen kommen. Die Subventionierung der
Maschinen bei gleichzeitiger Verteuerung der Arbeit (staatliche
Lohnnebenkosten) erzeugt eine Massenarbeitslosigkeit und
Frühverrentung, deren Kosten wiederum dem Faktor Arbeit
aufgebürdet werden (Näheres).
3.
Der globale Dumpingwettbewerb ist der Goldesel des Kapitals
Der
Abbau der Zölle wirkt wie ein
kapitalistisches
Ermächtigungsgesetz.
Die Investoren können damit nach Herzenslust einen Staat gegen
das anderen ausspielen und sich alle möglichen Subventionen
erpressen (Investitionshilfen, günstige Steuern,
maßgeschneiderte Ausbildung der Mitarbeiter,
Lohnkostenzuschüsse usw.). Bei angemessen Zöllen
funktioniert dieser Erpressungszirkus natürlich nicht
(Kostenersparnisse durch Produktionsauslagerung würden durch
Einfuhrzölle kompensiert und damit unrentabel).
4.
Die globale Vernetzung von Kapital und Wirtschaft entzieht sich jeder
Kontrolle
Eine
global vernetzte Wirtschaft mitsamt ihrer Finanzinstitute lässt
sich nicht mehr überblicken und erst recht nicht kontrollieren.
Kein Politiker kann noch verfolgen, was im Verborgenem wirklich
abläuft. Selbst Experten tappen weitgehend im Dunkeln und
erkennen Fehlentwicklungen erst, wenn es zu spät ist und die
Katastrophen bereits eingetreten sind.
5.
Exportorientierte Länder sind in einer Weltwirtschaftskrise
besonders schlimm dran.
In
einer globalen Rezessionsphase oder gar einer Weltwirtschaftskrise
sind die großen Exportnationen die Verlierer. Denn sie werden
ihre Waren im Ausland schwieriger los, sind aber andererseits
angewiesen auf eine hohe Importquote (weil sie im eigenen Land vieles
nicht mehr herstellen können). Gibt es in Deutschland zum
Beispiel noch ausreichende Produktionskapazitäten für
Bekleidung, Schuhe, technische Geräte (TV, Computer, Handys),
Taschen, Haushaltsgeräte usw.?
6.
Der offene Freihandel ist eine Illusion!
Eine
Welt
ohne Protektionismus
gibt
es nicht, auch wenn die Anhänger des Liberalismus es nicht
wahrhaben wollen. In der Praxis vollzieht sich stets nur ein
allmählicher Austausch: Der Zoll-Protektionismus wird
ersetzt durch einen Subventions-Protektionismus. Dieser Wandel
bedeutet nichts anderes als eine Machtumkehr - eine Schwächung
der Staaten und eine
Stärkung des Kapitals.
7.
Vorprogrammierter Zusammenbruch!
Der
globale Dumpingwettbewerb mündet früher oder später in
einer großen Krise, weil nämlich ein System der
weltweiten Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten bei der
Produktion irgendwann kollabieren muss.
Wie bereits erwähnt, könnte der Staat mit gezielten Konjunkturprogrammen das Vertrauen in die Wirtschaft wieder herstellen - bloß bei offenen Zollgrenzen verpuffen diese Geldspritzen weitgehend, es kommt zu wenig in der eigenen Volkswirtschaft an. Wenn es hart auf hart kommt, wird deshalb ein Land nach dem anderen aus dem globalen Dumpingwettbewerb durch Anhebung der Importzölle (oder Währungsdumping) ausscheren - so wie es Anfang der 1930er Jahre auch der Fall war.
Wäre
die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre ohne Zoll-Protektionismus
zu bewältigen gewesen?
Diejenigen,
die heute so wohlfeil den Zoll-Protektionismus der 1930er Jahre
verurteilen, sagen leider nicht, was damals die Regierungen in ihrer
Not sonst hätten bewerkstelligen sollen. Gab es irgendwelche
Alternativen, um aus dem Schlamassel wieder herauszukommen?
Hätte man auf die Zollanhebungen verzichtet, wären die
unter Punkt 1 bis 7 aufgeführten Nachteile des Freihandels
bestehen geblieben - wie hätte sich unter dieser Last eine
Besserung oder gar Sanierung einstellen sollen?
Immerhin
war das Konzept des Zoll-Protektionismus damals voll aufgegangen,
die Entflechtung der Weltwirtschaft und die Konzentration auf die
eigene Volkswirtschaft haben zu einer raschen Besserung auf dem
Arbeitsmarkt und zur Überwindung der Krise geführt. Es ist
mehr als ungewiss, ob eine andere Politik einen besseren Erfolg
gebracht hätte.
Vor allem die Kapitallobby verdammt heute immer noch den
Zoll-Protektionismus, obwohl er damals die Situation gerettet
hat!
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Impressum
© Manfred Julius Müller (unabhängiger, parteiloser
Wirtschaftsanalyst und Zukunftsforscher).
Anmerkung:
Der Sinn einzelner Thesen erschließt sich oft erst im
Zusammenhang mit anderen Artikeln des Autors. In einem einzelnen
Aufsatz können nicht jedesmal alle Hintergründe und
Grundsatzüberlegungen erneut eingeflochten werden.
Bücher
von Manfred J. Müller
Ist
eine Demokratie zu schwach, den Bürgern reinen Wein
einzuschenken?
Eine
staatliche, gehirnwäscheartige Dauerpropaganda wird immer wieder
eingesetzt, um konzernfreundliche, radikale Ideologien durchzusetzen
(z. B. die Zollächtung = Inthronisierung des globalen
Dumpingwettbewerbs). Wenn es aber um ein wirklich notwendiges
Umdenken geht (Erhöhung der Mineralölsteuer,
Einführung einer Kerosinsteuer, Verdoppelung der Lkw-Maut,
Aufgabe des gescheiterten Schengener Null-Grenzen-Experiments etc.),
meint man, die Bevölkerung nicht mitnehmen zu können. Denn
das könnte ja Wählerstimmen kosten.