Verzweiflungstaten: Der Kombilohn
Wie sinnvoll ist der Kombilohn?
Die offenen Weltmärkte drücken den Lohn für einfache Arbeiten auf ein Niveau, von dem in Deutschland keiner leben kann. Wie bringt man nun weniger qualifizierte Arbeitnehmer wieder in Lohn und Brot, wie macht man schlechtbezahlte Jobs attraktiver?
Mit
einer neuen Subventionsmasche meinen viele Politiker und Experten das
Rätsel gelöst zu haben. Die scheinbar grandiose Idee: Die
niedrigen Verdienste werden mit öffentlichen Geldern
aufgestockt.
Unter anderem wird erörtert, ob der Staat bei schlecht bezahlten
Jobs die Sozialversicherungsbeiträge gänzlich
übernehmen sollte.
Es
ist schon etwas eigenartig: Da werden die deutschen Lohnkosten
künstlich in die Höhe getrieben (durch die lohnbelastende
Finanzierung des Sozialstaates), da werden Zölle und
Handelsbeschränkungen aufgehoben &endash; und dann sollen durch
immer neue Investitionshilfen und Lohnsubventionen Arbeitsplätze
geschaffen und erhalten werden.
Hat man etwa doch noch eingesehen, dass der freie Weltmarkt nicht
funktioniert? Schließlich sind staatliche Zuschüsse im
Ergebnis nichts anderes als protektionistische
Schutzmaßnahmen, sie wirken wie Einfuhrzölle,
bloß dass sie eben Geld kosten anstatt Geld
einzubringen.
Pro
und Contra Kombilohn:
Neue Jobs für Langzeitarbeitslose?
Es ist zwar löblich, dass das Langzeitarbeitslosenproblem manchen Politiker zum Nachdenken veranlasste. Aber eine unausgegorene Idee in den Raum stellen hilft auch nicht viel &endash; sie kann sogar jede Menge Schaden anrichten.
Pro
und Contra Kombilohn:
Der
Fluch der Subventionen!
Zuschüsse zu den Sozialversicherungsbeiträgen soll nach einem aktuellen Denkmodell erhalten, wer als Single nicht mehr als 1300 oder als Verheirateter nicht mehr als 2000 Euro verdient. Dabei soll die Alimentierung gestaffelt werden &endash; je mehr sich der Niedrigverdiener der Subventionsgrenze nähert, desto weniger schießt Vater Staat zu.
Durch diesen Unsummen verschlingenden Protektionismus mag es gelingen, für einige zehntausend Langzeitarbeitslose einen subventionierten Arbeitsplatz zu konstruieren, wobei gleichzeitig aber Millionen regulärer Arbeitsplätze in den Subventionssog mitgerissen werden.
Wie
immer bei solchen Zuschüssen wird es nämlich auch hier
wieder Mitnahme- und Verdrängungseffekte geben, die den Kreis
der Förderfähigen ständig weiter ausdehnen. Die Kosten
werden den verbliebenen Beitrags- und Steuerzahlern aufgebrummt. Der
Normal- und Besserverdiener muss also letztlich die Zeche zahlen.
Deren Lohnkosten steigen, was der internationale Wettbewerb
üblicherweise mit einem anhaltendem Stellenabbau quittiert.
Ein Mehrfaches von dem, was an neuen Stellen geschaffen wird, geht
also am anderen Ende wieder verloren.
Pro
und Contra Kombilohn:
Freigrenzen wie bei den Lohnsteuern?
Um
die Schwierigkeiten bei den angesprochenen Entlastungen zu beheben,
könnten natürlich auch ähnlich wie bei der Lohnsteuer
sozialversicherungsfreie Grundbeträge eingeführt werden.
Dann würden also für jeden Arbeitnehmer, auch für den
Normal- und Besserverdiener, die Sozialbeiträge erst ab einer
bestimmten Freigrenze anfallen (zum Beispiel ab 500 oder 700
Euro).
Diese Regelung wäre gerechter und unbürokratischer, aber
auch teurer. Zudem hätte sie einen unerwünschten
Nebeneffekt: Jenseits der abgabenfreien Sockelverdienste würden
Steuern und Sozialabgaben übermächtig und überdeutlich
zuschlagen &endash; was die allgemeine Leistungsbereitschaft stark
beeinträchtigen dürfte.
Pro
und Contra Kombilohn:
Warum nicht einmal den gradlinigen ehrlichen Weg
gehen?
Anstatt
sich immer neue Sonder- und Ausnahmeregelungen auszudenken, sollten
lieber grundlegende Maßnahmen ergriffen werden: In Zeiten
offener und miteinander konkurrierender Weltmärkte sollte vom
System der lohnbezogenen Sozialabgaben Abschied genommen werden
&endash; eine Finanzierung der Sozialsysteme über die
Mehrwertsteuer würde sämtliche Arbeitskosten um über
30 % absenken, was unsere Wettbewerbsfähigkeit erheblich
verbessern und mit großer Wahrscheinlichkeit zur
Vollbeschäftigung führen würde (weil gleichzeitig auch
noch die Importe teurer
Natürlich müsste der Umbau des Sozialsystems schrittweise
erfolgen. Die Erhöhung ab 1. 1. 2007 von 16 % auf 19 % bei
gleichzeitiger Absenkung der Arbeitslosenbeiträge um 2,3 % und
noch einmal um 0,8 % ab 1. 1. 2008 war ohne Zweifel ein Schritt in
die richtige Richtung.
Von dieser generellen Befreiung von den Soziallasten würden die Langzeitarbeitslosen weit mehr profitieren als von einer Sonderregelung, denn nicht nur die einfachen Tätigkeiten wären in Deutschland bezahlbarer &endash; auch das Angebot an besseren Jobs würde sich wegen der Kostenentlastung deutlich ausweiten (viele Langzeitarbeitslose würden dann nicht nur Billigjobs, sondern auch höher dotierte Stellen finden).
Pro
und Contra Kombilohn:
Aber in den USA und Großbritannien funktioniert es
doch..."
Gerne verweisen die Anhänger des Kombilohns auf die scheinbar positiven Erfahrungen in den USA und Großbritannien (dort sind die Arbeitslosenquoten niedriger). Doch hier werden wieder Äpfel mit Birnen verglichen. Denn für die Arbeitsmarkterfolge der beiden genannten Länder gibt es eine Vielzahl anderer plausibler Gründe &endash; man kann nicht einfach daherkommen und sich einen x-beliebigen Punkt herausgreifen.
Für
die USA gilt: Sie sind die Supermacht Nr. 1, für die schon aus
dieser Stärke heraus ganz andere weltwirtschaftliche Spielregeln
gelten.
Die USA verfügen im Gegensatz zu uns über eine eigene
Währung &endash; sie können also eine aktive
Währungspolitik betreiben (z. B. die Zinsen drastisch senken,
wenn eine Rezession droht). Der Dollar wurde in den letzten Jahren um
über 30 % abgewertet, was natürlich auch immense
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat. Die USA erheben in bedrohten
Wirtschaftsbereichen hohe Einfuhrzölle und sind in ihrem Handeln
und ihrer Gesetzgebung von keiner übergeordneten
EU-Bürokratie abhängig &endash; sie können deshalb bei
Schwierigkeiten viel schneller und flexibler reagieren.
Auch
für Großbritannien gilt, dass sie sich ihre eigene
Währung bewahrt haben und nicht in der Euro-Zwangsjacke
stecken.
Die Briten verfügen ferner über wertvolle
Erdölreserven, die schließlich auch nicht zu verachten
sind. Die Briten leben zudem auf einer Insel, ihre geografische Lage
verhindert in vielen Bereichen den direkten Konkurrenzkampf mit den
osteuropäischen Billiglohnländern.
Deutschland verliert allein mehrere Milliarden Euro jährlich
durch den Tanktourismus (weil in manch angrenzenden EU-Staaten das
Benzin billiger ist). So etwas kann auf der Insel nicht geschehen.
Die
lange Aufschwungphase Großbritanniens wurde getragen von einer
gewaltigen Immobilienblase (irgendwann wird auch dort die Luft
entweichen, vermeintliche Vermögen sich auflösen und eine
Rezession einsetzen).
Und weil nun einmal Englisch zur Weltsprache erkoren wurde,
glänzt London als internationaler Finanzplatz und gilt als
Magnet für reiche ausländische Geldanleger.
Für
beide Länder gelten noch viele andere Faktoren, die ich hier
nicht alle aufzählen kann, an dessen Vorteile man aber kaum
denkt.
In Zeiten der künstlich herbeigeführten Globalisierung ist
zum Beispiel die allgemeine Beherrschung der Welt- und Handelssprache
Englisch von existentieller Bedeutung. Wir Deutschen wenden
jährlich Milliardensummen, Zeit und Energie auf allein für
das Erlernen dieser Weltsprache und sind in diesem wichtigen
Kriterium dennoch den Amis und Engländern haushoch
unterlegen.
Eine Anmerkung zum Schluss: Es werden leider immer nur die beiden
Kombilohn-Vorzeigemodelle USA und GB erwähnt. Wie steht es um
die vielen anderen Länder, deren Lohnsubventionen unerwähnt
bleiben?
Durch Hartz-IV wurde der Kombilohn durch die Hintertür bereits eingeführt!
Leider
hat Deutschland durch Hartz IV bereits eine Art Kombilohn etabliert.
Wessen Lohn zu niedrig ist, um davon leben zu können, der
bekommt ihn auf Antrag durch staatliche Hilfe aufgestockt.
Diese Handhabung führt zum häufigen Missbrauch, die sich
wie eine Seuche zunehmend ausbreitet. Viele Firmen expandieren nur
aufgrund ihrer staatlich subventionierten Niedriglohnmasche. Zum
Beispiel zahlen viele Gastronomen ihren Köchen offiziell nur
noch 500 Euro und zwingen den Staat, 1000 Euro dazuzulegen. So
vollzieht sich ein ekelhafter Verdrängungswettbewerb, dem
letztlich die anständigen Firmen zum Opfer fallen.
Pro
und Contra Kombilohn:
Schon heute gilt: 40.000 haben Arbeit &endash; und bekommen dennoch
Hartz IV
Allein in Schleswig-Holstein ist die Zahl der Aufstocker 2007 auf 39.678 gestiegen. Sie hat sich damit innerhalb nur eines Jahres verdoppelt (2006 waren es noch 19.297). Über die Hälfte der Aufstocker (gut 20.000) verfügen über sozialversicherungspflichtige Jobs. Hochgerechnet auf Deutschland ergeben sich etwa die dreißigfachen Werte.
Pro
und Contra Kombilohn:
Bei Gering-Qualifizierten liegen die Tariflöhne über
der Produktivität..."
Die
Befürworter der Kombilöhne bemühen penetrant das
Argument, die Löhne für einfache Arbeiten lägen
oberhalb der Produktivität, weshalb sie dann wegrationalisiert
werden.
Ich halte eine derartige Begründung für dumm und
frech. Denn die Löhne sind ja nicht grundsätzlich zu
hoch, sondern nur im direkten Vergleich mit den
Billiglohnländern.
Würde der Staat aus dem irrsinnigen und unnötigen
weltweiten Vernichtungswettbewerb ausscheren (z. B. durch die
Konsumsteuerfinanzierung der Sozialsysteme), dann gäbe es genug
Arbeitsplätze, auch für Gering-Qualifizierte.
Dann könnten Handys, Computer, Textilien, Schuhe usw. wieder im
eigenen Land hergestellt werden. Die Netto-Arbeitseinkommen auch im
unteren Bereich würden dann rasch ansteigen.
Pro
und Contra Kombilohn:
Fehlender Arbeitsanreiz?
Experten
haben errechnet, dass bei einem erwerbslosen Ehepaar das
Arbeitslosengeld II samt Unterkunftskosten einem fiktiven Stundenlohn
von 7,59 Euro brutto entspricht.
Die Arbeitsaufnahme für einen der beiden wäre also nur
lohnend, wenn bei einer Vollzeitstelle die 7,59-Euro-Marke
überschritten würde. Nun liegen aber die Tariflöhne in
vielen Fällen deutlich unter dieser staatlichen
Unterstützung. Transportarbeiter kommen z. B. 2007 nur auf einen
Stundenlohn von 7,49, Verkäufer auf 7,32, Zeitarbeiter auf 7,20,
Gartenbauer auf 6,92 und Landwirtschaftsgehilfen auf 6,45, wobei
diese Werte regional sogar noch unterschritten werden
können.
Diese
real existierenden erbärmlichen Niedrigstlöhne
verdeutlichen, dass die Theorien vom indirekten Alg-II-Mindestlohn
und fehlenden Arbeitsanreizen unhaltbar sind.
Denn die vorhandenen Hungerlohn-Arbeitsplätze sind
schließlich alle besetzt &endash; es gibt dort trotz miesester
Bezahlung so gut wie keine offenen Stellen.
Verschwiegen wird nämlich, dass der fiktive Arbeitslohn bei
Hartz-IV-Singles wesentlich niedriger ausfällt als bei dem so
gerne als Beispiel angeführten erwerbslosen Ehepaar. Nicht die
7,59 Euro können daher als heimlicher Mindestlohn bzw. als
Schallmauer angesehen werden, sondern lediglich der fiktive
Stundenlohn eines Singles, der bei etwa 5 Euro angesiedelt sein
dürfte.
Aber auch dieser Wert wird in der Praxis aus vielerlei Gründen unterschritten. In Zeiten des aktiven Neoliberalismus gibt es selbst für die unterbezahltesten Jobs genügend Bewerber, die sich unbedingt etwas hinzuverdienen müssen, die niemandem auf der Tasche liegen wollen, einen schlechtbezahlten Job als mögliche Einstiegschance betrachten oder es einfach nicht aushalten, den ganzen Tag untätig herumzugammeln und von der Arbeitswelt und Gesellschaft ausgeschlossen zu sein.
Pro
und Contra Kombilohn:
2,50 Euro Stundenlohn im Hamburger Luxushotel &endash; mit dem
Kombilohn ließen sich die Löhne noch weiter
drücken!
Anfang 2007 wurde bekannt, dass in einem Hamburger Luxushotel Vollzeit-Beschäftigte zum Teil nur auf einen Nettostundenlohn von 2,50 Euro kommen. Dank staatlicher Lohnzuschüsse könnten die Lohnkosten noch weiter gedrückt werden, ohne dass der Arbeitnehmer einen Schaden hat. Prima! Oder etwa doch nicht?
Die
bekanntgewordenen Fälle zeigen, unter welchen Bedingungen die so
gerne als faul dargestellten Arbeitslosen bereit sind zu arbeiten.
Der Kombilohn soll Arbeit wieder lohnend machen und bequem gewordene
Hartz-IV-Bezieher aktivieren.
Aber wenn bereits in einer reichen westdeutschen Großstadt sich
Leute für 2,50 Euro Stundenlohn abrackern, dann stimmt das ganze
Gerede von der fehlenden Motivation doch gar nicht. Dann ist es doch
offensichtlich, dass es nicht an der Motivation, sondern nur an den
Arbeitsplätzen mangelt.
Und dieses Problem ließe sich wie gesagt leicht lösen: Die Finanzierung der Sozialsysteme über die Mehrwertsteuer würde den unfairen weltweiten Dumpingwettbewerb beenden, weil dann auch die Importe dazu beitragen, den Sozialstaat zu erhalten.
Pro
und Contra Kombilohn:
Keine Flickschustereien bitte!
Ich vertraue auf die Einsicht der Politik, dass mit behelfsmäßigen Reparaturmaßnahmen (wie der Sozialabgabenbefreiung für schlechtbezahlte Jobs) grundsätzliche Konstruktionsfehler nicht zu beheben sind. Die Folgen der verhängnisvollen Globalisierungspolitik (Abbau der Zollschranken) werden immer deutlicher, ständig tun sich neue Risse auf und immer noch meint man, mit Subventionspflastern das Schlimmste wieder kitten zu können.
Es wird aber nie gelingen, Grundsatzfehler mit ständigen Eingriffen in die Marktwirtschaft zu bereinigen. Denn eine derart verstümmelte Marktwirtschaft verliert zunehmend an Leistungskraft, sie ist nicht mehr in der Lage, mühsam erarbeitete Produktionsfortschritte in einen steigenden Wohlstand umzuwandeln.
Eine herzliche Bitte: Sollte Ihnen dieser Artikel (https://www.globalisierung.com.de/marktwirtschaft/kombilohn.html) gefallen haben, empfehlen Sie ihn bitte weiter. Denn nur die allgemeine Aufklärung der Bevölkerung ebnet den Weg für notwendige Veränderungen. Es dankt Ihnen Manfred J. Müller
Startseite
www.globalisierung.com.de
Impressum
© Manfred Julius Müller (unabhängiger, parteiloser
Wirtschaftsanalyst und Publizist).
Erstveröffentlichung 2007
Dieser Artikel, bereits vor der 2008 einsetzenden Wirtschaftskrise
verfasst, hat an Aktualität wenig eingebüßt. Selbst
die Einführung des Mindestlohnes im Januar 2015 (der durch
unzählige Tricks unterlaufen werden kann) wird daran wenig
ändern.
Anmerkung:
Der Sinn einzelner Thesen erschließt sich oft erst im
Zusammenhang mit anderen Artikeln des Autors. In einem einzelnen
Aufsatz können nicht jedesmal alle Hintergründe und
Grundsatzüberlegungen erneut eingeflochten werden.
Bücher
von Manfred J. Müller
Man
kann nicht ständig das, was der normale Menschenverstand und die
Mehrheit der Bevölkerung für gut und richtig befinden, als
rechten Populismus abtun. Täte man dies, wäre nur noch eine
gegen das Volk gerichtete Politik legitim. Das wäre jedoch eine
Perversion der Demokratie!